Herz & Seele | Ein bemerkenswertes Gespräch

Vor einer Woche habe ich mit einer mir bis zu dem Zeitpunkt völlig unbekannten Frau ein langes Gespräch geführt. Und es war ein gutes Gespräch. Mit einer bemerkenswerten Offenheit und einer angenehmen Vertrautheit, obwohl wir uns vorher überhaupt nicht kannten.

Im Leben begegnen wir ja manchmal Menschen, zu denen wir sofort einen Draht haben, die uns auf eine besondere Art sympathisch sind, kennt ihr das? Genau das ist mir passiert, an einem verregneten Sonntagnachmittag.

Aber fangen wir die Geschichte mal von vorne an:

Ich höre gerne Podcasts. Täglich den “Was jetzt”, der Nachrichtenpodcast von Zeit Online, oft im Auto oder morgens beim Frühstück. Auch andere Podcasts von Zeit Online, zum Beispiel den O.K. America Podcast, keine Folge habe ich verpasst. Laufen ist nur mit Podcast in den Ohren möglich, sonst langweile ich mich.

Im vergangenen Sommer vor der Bundestagswahl hörte ich im Auto den täglichen Podcast, es ging um Wahlprogramme. Und um unterschiedliche Meinungen und Ansichten. Zu hören waren Gesprächsschnipsel von Zuhörern, die befragt wurden. Im Rahmen des Formats “Deutschland spricht”. 

Zuhause googelte ich den Begriff direkt und dachte: das ist ja interessant! Die Idee dahinter ist, eine Art Dating-Plattform für politische Gegensätze zu schaffen.

Gerade in den vergangenen zwei Jahren beobachte ich die Kommunikation hierzulande mit Sorge. Die Pandemie hat das Land gespalten, es haben sich fast Fronten gebildet. Die Toleranz für unterschiedliche Meinungen nimmt ab, fällt auch mir zunehmend schwer.

Wie kann man mit Andersdenkenden diskutieren, geht das überhaupt noch? Es machte bei mir sofort klick und ich meldete mich an, als ich das hier las:

“Deutschland spricht” ist die Plattform für politische Zwiegespräche von ZEIT ONLINE. Das Versprechen: Menschen zusammenbringen, die politisch völlig unterschiedlich denken. Im Jahr der Bundestagswahl verabredeten sich jeden Monat Tausende Menschen in ganz Deutschland zum virtuellen Vier-Augen-Gespräch, um über die Folgen der Corona-Pandemie zu debattieren. Zu der Aktion ruft ZEIT ONLINE mit fünf Medienpartnern auf.

Deutschland spricht 2021

Die Anmeldung ging schnell und ist bis auf die Emailadresse und das Alter erstmal anonym. Ich bekam einige Zeit später eine Mail mit Fragen, u.a.:

• Was bereitet Ihnen seit Beginn der Corona-Krise am meisten Sorgen?
• Was macht Ihnen derzeit Freude oder gibt Ihnen Hoffnung?
• Was machen Sie beruflich?
• Was mögen Sie gar nicht?

Ich habe die Sache aber dann aus den Augen verloren. Einige Wochen später die Anfrage, ob ich noch interessiert wäre. Ja angeklickt, ich möchte dabei bleiben.

Im Januar kamen per Mail neue Fragen, bezogen auf aktuelle politische Themen:

• Russische Truppen an der Grenze der Ukraine
• Impfpflicht
• Kurzstreckenflüge in Deutschland verbieten
• Gendern
• Mietendeckel

Ich beantwortete die Fragen und bekam kurz darauf eine Mitteilung, dass es einen passenden Gesprächspartner gäbe und ob ich per Mail Kontakt aufnehmen möchte. Daraus entstand ein Austausch per Mail mit meiner potentiellen Gesprächspartnerin, wir verabredeten uns zum Telefonieren.

Sonntagnachmittags, bei einer Tasse Kaffee und gemütlich in einen Sessel gekuschelt, sprach ich fast zwei Stunden mit N. per Telefon. Eigentlich war es als Videoformat vorgesehen, wir haben uns anders entschieden.

Zu unser beider Erstaunen waren unsere Meinungen zu den Themen der Fragen nicht so unterschiedlich, wie unsere vorherigen Antworten auf die Fragen. Die hatten wir jeweils im Vorfeld von Zeit Online zugeschickt bekommen. Entweder war der Matching-Algorithmus defekt, oder man kann einfach auch gute Gespräche führen, wenn man unterschiedliche politische Ansichten hat.

Wir plauderten zum Schluss über Gott und die Welt, verstanden uns bestens und verabredeten uns, weiter in Kontakt zu bleiben. Obwohl wir in entfernten Teilen Deutschlands wohnen, uns vielleicht sogar mal in echt zu treffen.

Gestern habe ich den Feedback Fragebogen vom Gespräch für Zeit Online für “Deutschland spricht – 2021” ausgefüllt und angeklickt, dass ich gerne weiter in diesem Dialogformat bleiben möchte.

Es hat Spaß gemacht und ich bin gespannt auf neue Fragen und ein neues Match.

Interessant, die ganze Sache war als Streitgespräch gedacht. Und es ist ganz anders gekommen.

Auf jeden Fall bin ich weiter dabei!

Seit 2017 haben sich bereits mehr als 66.000 Menschen für „Deutschland spricht“ registriert. Die Idee entstand in der Redaktion von „Zeit Online“ vor der Bundestagswahl 2017. Daraus ist inzwischen die internationale Plattform „My Country Talks“ entstanden, die bereits in 14 Ländern Bürgerdialoge ermöglicht hat. Mehr als 170.000 Menschen weltweit haben sich bisher über die Plattform für ein politisches Eins-zu-eins-Gespräch angemeldet.

Tolle Sache! Aktuell anmelden könnt ihr euch über die Plattform My Country Talks. Auch über Google findet ihr viele Berichte und Informationen zu “Deutschland spricht”.

Wir befinden uns pandemiebedingt ja seit geraumer Zeit alle in irgendwelchen Blasen, sei es im wahren Leben durch Kontaktreduzierungen oder virtuell durch unterschiedliche “Lager”.

Umso wichtiger scheint mir deshalb eine offenere und tolerantere Kommunikation, der Blick über den eigenen Tellerrand, raus aus dem Schubladendenken, ihr wisst, was ich meine.

Im Übrigen macht mir der Umgangston, besonders im Netz, und unsere Wertekultur nach wie vor Sorgen. Sind wir wirklich während der Pandemie auf ein noch tieferes Niveau gerutscht? Denn ich fand es 2019 schon bedenklich, nachzulesen unter Die neue Übergriffigkeit, oder was ist da los in diesem Internet?

In diesem Sinne: Passt auf euch auf, bleibt gesund und seid nett zu einander. Gebt auch mal, nehmt nicht nur. Das sorgt für gutes Karma, daran glaube ich.

Eure Meinung zu diesem Thema interessiert mich natürlich sehr, bitte schreibt mir in den Kommentaren, danke!

Alles Liebe und ein wunderbares Wochenende

Barbara