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Eritrea

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Parallelwelten, zwischen Alltag und Angst

11. September 2015

Die Fernsehbilder der Nachrichten machen mir Angst, da bin ich ganz ehrlich. Seit Tagen schwirrt es in meinem Kopf.

Was ist los mit unserer Welt?

Wird sie gerade auf den Kopf gestellt?

Mir fällt es nicht leicht, die Gedanken an die Geschehnisse auszublenden. Eine Woche nicht gebloggt, die nächsten Workshops noch nicht fertig vorbereitet, kein Heile-Welt-Instagram gepostet. Vieles in meinem Leben kommt mir gerade wie Pille-Palle vor, gegen die humanitäre Katastrophe, der wir uns gegenüber sehen. Ich kann das nicht ausblenden, ich kann nicht wegsehen. 

Denn wir dürfen nicht vergessen, dass hinter der Masse von Flüchtlingen unzählige Einzelschicksale stehen, Menschen die leben wollen, Menschen wie du und ich.

Und wenn man einmal einem Flüchtling die Hand gereicht hat, eines der Einzelschicksale und den Mensch dahinter sieht, dann kann mann nicht mehr einfach zum Alltag übergehen.

Ich bin sicher keine Mutter Theresa und habe kein chronisches Helfersyndrom. Aber ich habe ein großes Herz, das schmerzt, erst recht, wenn ich die grauenvollen Bilder von Flüchtlingskindern sehe, oder aus Ungarn, von Bahngleisen und Bahnhöfen und Autobahnen …

Spenden sammeln und sortieren, oder mich als Pate schulen zu lassen, an vielen Besprechungen teilzunehmen, zu organisieren, all das mache ich gerne.

Aber ich will mehr tun, mehr helfen, direkter helfen, jetzt und heute. Ganz spontan meldete ich mich deshalb vorgestern, als in unserer lokalen Facebook-Hilfegruppe Hilfe zum Deutschlernen gesucht wurde. Am gleichen Nachmittag lernte ich meine "Schüler" schon kennen.

Zufälligerweise hatte ich aus einem Impuls heraus am Abend vorher dieses Buch bei Amazon bestellt, es kostet 9,95€.

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Dieses Buch ist für jede Sprache zum Deutschlernen geeignet, da der Begriff mit einem Foto dargestellt wird. Das deutsche Wort steht daneben, und der Lernende kann in seiner Schrift und Sprache den Begriff darunter schreiben.

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Als hätte ich geahnt, dass ich mit meinen "Schülern" nicht über Sprache kommunizieren würde können, sondern besser über Bilder. 

Yodit, 19 Jahre alt, kommt aus Eritrea. Über den Sudan, von verbrecherischen Schleusern in lebensgefährlichen Fahrzeugen durch die Wüste geschleppt, durch Libyen, über das Mittelmeer im Schlauchbot, aufgelesen von einem "großen eisernen Schiff mit deutscher Flagge", durch Italien nach Österreich. Alleine, mit einem 15 jährigen Cousin. Und das hat sie geschafft, fast blind, halb gelähmt. Sie spricht nur Tigrinya, das ist die Landessprache in Eritrea.

Ihr Mann hatte schon einige Zeit vorher keinen Ausweg als die Flucht gesehen, um dem Terror des Militärregimes in Eritrea zu entgehen. Wie durch ein Wunder haben beide in einem unglaublichen Kraftakt ihre dramatische Flucht überlebt und sich vor einigen Tagen zum ersten Mal seit zwei Jahren wiedergesehen. Hier bei uns im Erstaufnahmelager.

Yodit ist leider sehr krank und deshalb jetzt dank des enormen Einsatzes unserer stellvertretenden Bürgermeisterin in stationärer Behandlung der Uni-Klinik Düsseldorf. Ihr Mann E. ist in einem anderen Bundesland seit einigen Monaten registriert und konnte aus dem Grund nur unter großen Schwierigkeiten zu seiner Frau nach NRW kommen.

Es ist ja nicht so als ob sich Flüchtlinge, die in die Freiheit geflohen sind, in unserem Land frei bewegen dürften. Aber das ist ein anderes Thema und zu komplex.

Und überhaupt, Eritrea? Warum hat seit Jahrzehnten fast die Hälfte der Bevölkerung dieses Land und damit ihre Heimat verlassen? Zugegebenermaßen wusste ich wenig über die Zustände in diesem afrikanischen Schurkenstaat. Uns begegnen viele Flüchtlinge aus Syrien, aus dem Irak und Afghanistan, dort herrscht Krieg.

In Eritrea herrscht das Grauen, nach diesem Bericht hier wurde mir regelrecht übel.

Heute war ich wieder bei ihnen im Krankenhaus. Spontan begleitete mich eine Arbeitskollegin aus Wuppertal, deren Eltern schon vor 40 Jahren vor dem Bürgerkrieg in Eritrea geflohen sind. Mit ihr als Dolmetscher konnte ich mehr als am ersten Tag über Yodit und E. erfahren, und sie werden mir ihre Geschichte nächste Woche, nach Yodits OP erzählen.

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Liebenswert, herzlich, höflich, offen, bescheiden, mir fehlen die Worte um dieses junge Paar und ihre große Liebe zu beschreiben. Sehr sehr sympathisch und berührend, im wahrsten Sinne des Wortes. Stolze Menschen, die mir nicht den Eindruck vermittelten als Bettler nach Europa zu kommen.

Gleichzeitig komme ich mir hilflos vor, gegen die deutsche (aber leider notwendige) Bürokratie, das Schicksal und die Situation, die Sachzwänge, die Krankheit.

Was tun! Ich will etwas tun! Ich bin ein Anpacker, ich will helfen!

Deshalb wird Frau Barbara (so nennen sie mich) auch ihre Geschichte aufschreiben. E. möchte aus verständlichen Gründen anonym bleiben und hat dieses Foto heute von uns und seiner Cousine, die kurz nach ihrer Flucht hier ihr Baby bekommen hat, gemacht. 

Es gibt in Düsseldorf ein Restaurant mit Spezialitäten aus Eritrea. Deutsches Essen ist sehr ungewohnt für Yodit. Am Sonntag, bei meinem nächsten Besuch, bringe ich ihr deshalb keinen deutschen Kuchen mit, sondern Schuro-Tegabino, ihr Lieblingsgericht und ein kleines Stückchen Heimat.

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Helfen und willkommen heißen kann auch ganz einfach sein. Jeder von uns kann das.

Es berührt mich sehr, dass so viele Menschen hier in unserem Land zusammenrücken und sich dem unverständlichen und grauenhaften Fremdenhass entgegenstellen. Und sich für ein menschliches und freundschaftliches Miteinander stark machen.

Wir müssen den Menschen, die unsere Hilfe brauchen unsere Hand reichen.

In diesem Sinne: packt es an, nit quake, make (sagt der Rheinländer)!

Offizielle Hilfsorganisationen:

Blogger für Flüchtlinge

Uno Flüchtlingshilfe

Aktion Deutschland hilft

Ärzte ohne Grenzen

Praktische Hilfe vor Ort

Wenn ihr bei Google das Wort “Flüchtlingshilfe” zusammen mit dem Namen eurer Stadt eingebt, findet ihr in fast allen Fällen lokale Ansprechpartner. 

Und ganz wichtig:

Benutzt eure Stimme, gegen Frendenhass und Hetze !!

Alles Liebe

Barbara