Letzte Woche war meine Schwägerin mit ihren 3 Kindern in Berlin, Besichtigungstour. Als sie zurückkam, sprach sie mich darauf an, ja sie forderte mich geradezu auf „ Mensch Ines, du musst den Kindern mal erklären, wie das im Osten so war. Die wissen ja gar nichts über die neuere deutsche Geschichte und ich kann denen ja auch nichts sagen.“ Recht hat sie. Aber wenn man selber noch mit dem Verarbeiten beschäftigt ist, wie will man es da anderen erklären.
Ich bin Jahrgang 1969, im Osten aufgewachsen, bei der Grenzöffnung war ich 19 Jahre alt und mit 20 bin ich ganz regulär nach Mannheim gezogen, nicht abgehauen. Um weiterzustudieren und mit meinem Freund zusammen zu leben. So war das.
Heute nun ist dieser Tag der Grenzöffnung.
Im Frühstücksfernsehen kam ein langer Sonderbericht darüber. Und treffenderweise wurden Leute dazu interviewt (Wo waren sie am Tag der Grenzöffnung?), die sich weit ab vom Ort des Geschehens aufhielten. Da kocht bei mir immer die Galle über. Und weil ich gerade so schön am erinnern bin und dieses Geschriebene hier auch für ein Layout darüber verwenden will, schreie ich mir jetzt mal meine Geschichte dazu von der Seele.
Was das mit diesem Blog hier zu tun hat? Scrapbooking ist nicht möglichst viele Produkte zu verwenden, es ist nicht nur Geburtstagsfotos zu verpacken, es ist auch Geschichte festzuhalten. Aufzuschreiben. Zu Bewahren. Geschichte die man life erlebt hat, seine Emotionen die man empfunden hat. Ich schäme mich jetzt fast ein bisschen, daß ich noch kein einziges Layout über die Geschichte, meine Geschichte zustande gebracht habe. Ein Layout, das sicherlich mehr wie ein Tagebucheintarg aussehen wird. Apropos. Von damals habe ich sogar noch ein Tagebuch.
Erinnert euch, wie spannend es war, wenn eure Großeltern über früher erzählt haben. Ok, Großmutter bin ich noch nicht, aber heute ist 1989 „früher“. Ich will diese Geschichte über die Geschichte festhalten. Wer sie hören will liest weiter, wer nicht klickt weiter 😉
Im ZDF läuft bis 2009 eine Aktion, Ihre Geschichte zum 9. November 1989. Der Link dazu ist hier.
Aber nun, meine Geschichte:
Im November 1989 habe ich in Dresden studiert. Dresden das Tal der Ahnungslosen, durch die geografische Lage vom Empfang des Westdeutschen Funks und Fernsehens abgeschnitten. Mit meinen Kommilitoninnen bewohnte ich eine nette Albau-WG in Dresden Neustadt. Am 9. November hörten wir kein Radio, vielleicht Kassette und das DDR Fernsehen konnte man sowieso vergessen. Auf die Nachrichten des Ostfernsehens verzichteten wir immer, das war reine Propaganda.
Der 9. November war ein völlig unspektakulärer Tag. Am 10. November realisierten wir dann das Unfassbare. Aber das auch erst ziemlich spät.
Ein ganz normaler Novembertag, Freitag (der 10.11.89), der Tag an dem jede von uns Nachmittags nach Hause fuhr. Wir kamen aus der ganzen DDR. Ich wohnte damals im Sperrgebiet zu Hessen, in der Nähe von Eisenach/Thüringen.
Wir gingen also in unsere Ingenieurschule. Es herrschte bei uns strenge Anwesenheitspflicht, aber es waren kaum Studenten da. „Die sind auf’m Ku’damm“ deklarierte unser Dozent. Wir lachten. Guter Witz. Der will uns veräppeln. Sind die abgehauen? Damals gab es ja diese ungeheure Fluchtwelle in den Westen. Es gab die Montagsdemos, auch in Dresden. Ahnungslosigkeit unter uns. Ich kann mich nicht mehr genau an den Tag dort in der Schule erinnern. Irgendwie kam glaube ich das Gerücht auf, die Grenze sei auf. Um die Mittagszeit hatten wir Schulschluß, ich habe mich an die Auffahrt zur Autobahn in Dresden gestellt und wollte wie üblich nach Hause trampen. Ein Trabi hielt an, der Fahrer sagte im er wolle in den Westen fahren. Ich sagte entgeistert „Abhauen????“ Er lachte und sagte etwas von „Man, man du kommst aus’m Tal der Ahnungslosen. Die Grenze ist auf Mädel.“ Ich dachte der spinnt der Typ. Kurbelte an seinem Radio rum und irgendwann etwas ausserhalb von Dresden, bekamen wir irgendeinen westdeutschen Sender rein. Ab da überschlugen sich die Eindrücke die auf mich einstürzten. Ich konnte es nicht glauben.
Meine Welt in der ich 19 Jahre gelebt hatte, mein kleines unantastbares Universum existierte nicht mehr? Ab Erfurt, ca. 60-70 km vor der Grenze war Stau! S T A U !!!! Dieses Wort, diese Sache gab es in der DDR definitiv nicht. Und jetzt stand ich mittendrin. Die 2-Takter-Karavane quälte sich gen Westen. Ich erinnere mich noch an Eisenach. Die Stadt war ausgestorben. Ich wollte die letzten Kilometer mit dem Bus nach Hause fahren. Ich stieg in den Bus. Der Busfahrer sagte zu mir „Ich fahre jetzt nach Herleshausen!“ (Anm. Herleshausen war der Grenzort an der deutsch/deutschen Grenze und lag in der Bundesrepublik) Ich dachte nur, jetzt drehen sie alle durch. Von einer Telefonzelle aus, rief ich eine Freundin an und fragte ob sie mich abholen könne. Sie kam mit dem Moped angeknattert, wir wussten gar nicht wo wir zuerst anfangen sollten zu erzählen. Zu Hause nahm ich sofort unseren Trabi, trommelte noch 2 Mädels zusammen und wir reihten uns in die Trabischlange am offenen Grenzübergang ein. Wir gackerten unentwegt, „Wir fahren in den Westen, wir fahren in den Westen“. Das Gefühl an der Grenze war unglaublich. Ich dachte nur, Leute lasst mein Auto ganz. Jubel, Euphorie, aber ich hörte auch eine Stimme die sagte „Haut ab, wo ihr hergekommen seid“. Da hatte ich Bauchweh.
Sofort hinter der Grenze wurde die Straße spürbar besser. Ich meine, keine Schlaglöcher mehr, eine einfach ebene ruhige Straße war da. UNGLAUBLICH. Ein ganz anderes Land öffnete da seine Pforten. Und Herleshausen erst. Ein Kaff! Uns kam es vor wie der luxuriöseste Ort auf Erden. Die Häuser – weiß, die Straßen und Bürgersteige –gepflegt. Es war November, das war im Osten Tristesse pur. Hier aber, Kuscheligkeit, nette Fachwerkhäuser. Es gab Supermärkte, Elektrogeschäfte, sogar eine Fahrschule. Unglaublich, alles. Irgendwann fuhren wir nach Hause. Einfach so. Als hätte es nie etwas Normaleres gegeben.
•••• • INES