INES: Ich weiss nicht ob es mit meinem Unfall zu tun hat, aber in letzter Zeit beschleicht mich eine sehr merkwürdige Sentimentalität. Zum Einen ist das beim Scrapbooking "Back to the roots", zurück zu Fotos, Text und Cardstock, weg von überladenen, nichtssagenden Plünnesseiten (anderes Wort für Kitsch).
Zum Anderen wird mir ganz wehmütig um's Herz wenn ich an die guten alten Produkte denke, die, die es heute leider Gottes nicht mehr gibt. Besonders jammerig werde ich bei unzähligen 7Gypsies Produkten, bei Autumn Leaves und Making Memories.
Kopfschüttelnd beobachte ich die ständig neuen Kollektionen von Basic Grey (Tapetenersatz?), die Farborgien von Prima (sollen wir die Blumen eigentlich verscrappen oder sammeln) und Fancy Pants, Glitzer und Kitsch, generell Papiere die nur gemacht wurden, um eine Blume auszuschneiden und sie dann in die Tonne zu schmeißen. Blumenembellishments die mittlerweile so gigantische Ausmaße haben, dass man sie getrost in Ascot beim Pferderennen an den Hut stecken kann. Hallo, wo sind wir denn heute? Was ist Scrapbooking denn noch?
Layouts mit Fotos auf denen nur noch Fussabdrücke zu sehen sind, Layouts mit Portraits und selbstbeweihräuchernden Aussagen, Schichten um Schichten. Früher habe ich gerne in der Gallerie von 2Peas gestöbert, aber mittlerweile ist mir das völlig abhanden gekommen. Ich kann diese überladenen Produktvermarktungs-Designteamwannabe-Layouts nicht mehr sehen. Nennen wir es Kunst, Mixed Media oder Selbstverwirklichung, aber bitte nicht Scrapbooking.
Das Schlimme ist, man wird davon angesteckt. Ich stehe vor meinem fertigen Layout und denke, es sieht so leer aus. Nein Ines, es ist nicht leer, es ist perfekt, so wie es ist. Deine Kinder lieben ist, dein Mann schmunzelt (er schmunzelt immer darüber, was auch immer das bedeutet). Liebes Ines-Ich, schmeiße nichts mehr auf dein Layout, du magst es in 4 Wochen sonst nicht mehr anschauen.
Um so mehr genieße ich den Workshop von Cathy Zielske "Design your Life", der für mich auch etwas wie "Back to the Roots" ist. Schlichte Layouts , mit einer Geschichte. Wo sind die klassischen Scrapbooker, die Allison Kimballs, Rachel Ludwigs, Joy Bohons usw. Meine Heros zu Beginn meines Scrapbookerdaseins? Haben sie die Schlacht um Produktvermarktung aufgeben lassen, sich zurück gezogen ins stille Kämmerlein? Einzig Ali hält noch die Fahnen hoch und bei Cathy kommt es mir wie ein letztes Aufbäumen vor.
Werde ich alt Leute? Immerhin ist mein 40. nur noch ein halbes Jahr entfernt. Midlife Crisis a la Ines?
Wie dem auch sei. Ich muss das bunte Zeug ja nicht kaufen. Immerhin gibt es noch Alternativen und meine guten alten Produkte (wie gut dass ich gehamstert habe) wollen auch zum Einsatz kommen. So fürchte ich denn, das ihr in Zukunft von mir sterbenslangweilige Layouts seht, mit Fotos und einer Geschichte, aber ansonsten nicht wesentlich mehr.
BARBARA: Natürlich spricht Ines mir aus der Seele, sonst wären wir nicht so ein perfektes Team *lol*. Obwohl mein Stil eher verspielt ist und ich großer Basic Grey Fan bin, es wird alles zuviel. Zu viel neues Zeugs bei den Herstellern, zuviel Zeugs auf den Layouts.
Gestern fand ich bei der Sichtung meiner ausgedruckten Fotos einige schöne Exemplare in 20×30 cm, Produkte einer Rabattaktion. Ich habe länger keine richtig großen Fotos verscrappt und brauchte einen Kick, eine Inspiration. Das Web? Aktuelle Zeitschriften? Gallerien? Blogs? Design Team Seiten?
Alles Fehlanzeige, Fotos, schwarz-weiss und teilweise nicht größer als Briefmarken, Portraits ohne Ende, you are my trallala…., schmalzigetriefende Titel und kein Journaling, keine Geschichten, so wie man das eben in letzter Zeit leider immer mehr in Zeitschriften und im Internet findet.
Dann holte ich die Klassiker aus meinem Bücherregal, 2-3 Jahre alte Bücher von Ali Edwards und Karen Russell, große Fotos auf jedem zweiten Layout, Anregungen ohne Ende, ich hätte sofort losscrappen können wenn ich da nicht schon zu müde gewesen wäre.
Dabei geht es doch eigentlich um die Fotos beim Scrapbooking, dachte ich jedenfalls. Das war doch mal die Kunst, mit Fotos und Journaling Geschichten zu erzählen, das Leben festzuhalten für einen selbst und eventuell auch die Nachwelt.
Wir müssen uns nicht wundern wenn Scrapbooking in der Mutti-Bastelecke landet, mehr als Basteln findet man auf so manchem Layout nicht. Schön anzusehen, sicherlich als Papierkunst zu bezeichnen, aber mit Scrapbooking im eigentlichen ursprünglichen Sinne, da hat es meiner Meinung nach nicht viel zu tun.
Ich frage mich auch was man mit diesen dicken Blumen-Layouts, mit diesen Tausend-Schichten-Layouts mit hochgebogenen Elementen dann anfängt. Oder mit Layouts wo alles an den Seiten über den Rand gescrappt ist, die passen doch in keine Hülle und damit auch in kein Album, oder ?
Ich bin vielleicht auch zu alt, ich bin ja sogar sehr alt im Vergleich zu Ines, aber immer noch aufgeschlossen neuen Dingen gegenüber. Was so manches aber soll in der letzten Zeit ist fragwürdig. Gerade kommt mir der Vergleich mit der internmationalen Krise am Finanzmarkt in den Kopf. Immer mehr die ein Stück vom Kuchen haben wollen, gierige Hersteller, bunter, schriller, das fast gleiche Produkt zum dritten Mal beim dritten Hersteller. Und das alte, bewährte gerät ins Abseits. Design Teams die immer neue Produkte pushen, immer teurere Produkte von denen nur Fitzelchen und Stückchen verwendet werden, ich kann da nur den Kopf schütteln.
Ich bin genau wie wir alle anfällig für diese Reizüberflutung an neuen Sachen, vieles Schöne ist dabei, ohne Frage. Seitdem ich aber finanziell einen anderen Rahmen als früher habe, betrachte ich die Dinge vielschichtiger.
Wie heute erinnere ich mich an die erste All About Me Challenge in einem Forum, eine Sensation, sich selbst zu verscrappen und nicht nur die Oma und die Kinder. Ganz wunderbar, wichtig und sinnvoll.
Inzwischen sehe ich auf jedem zweiten Layout Selbstportraits und Selbstbeweihräucherung, weltweit wohlgemerkt. Ob das der Sinn der Sache war ?
Ali Edwards letzte Aktion hat mir wieder ins Gedächtnis gerufen wie schön es sein kann unser tägliches Leben festzuhalten, meine Familie wird das in vielen Jahren sehr interessieren. Und das geht am besten mit Fotos und Texten und einigen unterstreichenden Dekorationen.
Meine Jungens würden sich bedanken wenn sie erstmal Berge von Primas zur Seite biegen müssten um ihre Gesichter zu sehen.
Und die Moral von der Geschicht' liebe Ines, scheint tatsächlich so, als seien wir beide schon zu alt für die schöne, neue, bunte Scrapbookingwelt.
•••• •BARBARA&INES