Dieser Blogpost ist schon so lange, seit Jahren eigentlich, in meinem Kopf. Die Gedanken dann wirklich aufzuschreiben ist eine andere Sache. Aber jetzt muss es raus.
Heute ist wieder so ein Tag, der 28. Februar. Mein Mann hätte heute Geburtstag. Hätte, wenn die Krankheit Krebs sein Leben nicht schon vor neun Jahren viel zu früh beendet hätte.
So oft hätte, würde, könnte. Wie oft ich das denke! Wenn er doch sehen könnte, wie wunderbar sich seine Kinder entwickelt haben, wie sie trotz des Schocks im Teenager-Alter ihren Weg gefunden haben. Er wäre so stolz und glücklich!
Aber eigentlich wollte ich über etwas anderes schreiben. Ich muss dazu in das Jahr 2008 zurück gehen, das Jahr, in dem im Frühjahr die Diagnose Krebs gestellt wurde. Mein Mann stellte sich der Diagnose und wollte mit allen Mitteln die Krankheit besiegen. Sicherlich gibt es kein Rezept und keinen Leitfaden für diese Situation. Jeder geht anders damit um, jeder muss im Rahmen seiner Kraft und Persönlichkeit den Weg finden.
Den Weg, der plötzlich und unerwartet ein anderer wird, als man ihn sich für sein Leben ausgemalt hat. Auf diesem Bild waren wir junge Eltern und dachten, wir würden noch glücklich mit unseren Enkelkindern sein können. Was hatten wir alles noch für Pläne! Mit dem Wohnmobil als Rentner die Ostküste der USA runter war einer davon, mein Mann wurde aber nur 52 Jahre alt. Der Arzt, der die Diagnose stellte sagte damals zu uns: Ihr Weg ist jetzt ein anderer, ein neuer, und niemand kann sagen , wie lang er ist und wohin er führt. Hörte sich erstmal positiv an, als wir noch Hoffnung auf Heilung hatten.
Und um es gleich vorweg zu nehmen: ohne die Hilfe unserer Familie, von Freunden und Bekannten hätten wir es nicht geschafft. Nicht in der Zeit der Krankheit, und ich erst recht nicht im Jahr nach dem Tod meines Mannes.
Mir ist es heute wieder bewusst geworden, wie unendlich dankbar ich meinen Kindern, der Familie und dem Freundeskreis bin. Und letztendlich haben auch viele liebe Menschen, die meinen Blog lesen, dazu beigetragen, dass ich mich damals und auch später unterstützt fühlte.
Wie ist das, wenn die Welt auf einmal zusammenbricht? Wenn man Angst hat, nur noch Angst vor der Zukunft und nicht weiss, ob man das alles aushält? Es ist grauenvoll, furchtbar und ich hatte das Gefühl, ich könnte nie wieder aufhören zu weinen, nie wieder Freude empfinden, nie wieder lachen.
Jeder, der selbst oder im Umfeld mit einer Krebsdiagnose oder im schlimmsten Fall dem Tod eines engen Angehörigen oder Freundes in Berührung kommt, kann vielleicht ahnen, wie es mir ging. Ich musste aber funktionieren, der Alltag mit den Kindern, Schule und Haushalt musste weitergehen. Zum Teil hat es mich abgelenkt, ich war froh, der Krankenhausluft zu entkommen, wenn ich mich um so banale Dinge wie Wäsche waschen und Einkaufen kümmern konnte.
Dazu kamen finanzielle Sorgen. Als Familie mit vier Kindern hat man in der Regel kein großen finanziellen Reserven, das Krankengeld reichte hinten und vorne nicht und krank sein ist teuer.
Und jetzt komme ich dazu, über was ich ja eigentlich schreiben wollte.
Auch kleine Hilfen können Großes bewirken, das habe ich in dieser Zeit gelernt und bewusst wahrgenommen. Und das möchte ich euch heute mitgeben.
Denn wir kommen alle mal in Situationen, wo es jemandem, den wir kennen, schlecht geht. Oft fühlt man sich hilflos, weiss nicht, was man sagen oder machen soll. Es liegt nicht jedem eine Mutter Theresa im Blut. Aber wir wollen helfen, wollen den Schmerz des Anderen etwas lindern, ihr wisst, was ich meine, oder?
Ich habe einige Freundinnen, die nicht zum ersten Mal so etwas erlebten, die aus Erfahrung und Intuition wussten, was helfen könnte. Nicht geholfen hat mir übrigens der Spruch: "du musst jetzt stark sein". So ein blöder Satz, das wusste ich selber und fühlte mich noch mehr unter Druck. Aber was sagt man auch, wenn einem die Worte fehlen?
Was mir geholfen hat, waren oft kleine Dinge. Ich zähle das jetzt einfach mal so auf, ohne Gewichtung und Reihenfolge, wie es mir in den Sinn kommt.
In den Wald und laufen, laufen, laufen. Ermöglicht durch wenige kostbare Stunden, in denen Familie und Freunde sich um meinen Mann kümmerten. Mir die schier unendliche Last abnahmen.
Eine Freundin, die mir mein Lieblingseis aus einem Eiscafe in der Stadt vorbeibrachte. Als sie merkte, dass ich aus Sparsamkeit kein Küchenpapier mehr kaufte, stand am nächsten Tag ein 20er Pack vor meiner Haustür, einfach so. Das hört sich jetzt banaler an als es war, für mich war das Mitgefühl pur.
Nachbarn, die uns Essen brachten. Freunde, die Essen für alle ins Hospiz brachten.
Freunde, die sich um den Papierkram kümmerten, Rechnungen sortierten, Unterlagen abhefteten und mir so sehr die ganzen Formalitäten nach dem Tod meines Mannes erleichterten durch diese Vorarbeit. Und auch später noch.
Freunde, die nach der Diagnose meinen Mann in jeder freien Minute beschäftigten, mit ihm auf den Golfplatz fuhren, oder mit ihm Tennis spielten, in ihrer Arbeitszeit. Die mit ihm Ausflüge machten, damit er abgelenkt war, seinem Schmerz bei ihnen abladen konnte statt bei mir. Ich konnte in diesen Stunden auch durchatmen und ein paar Minuten die Krankheit nicht vor Augen haben. Jeden Tag hat ihn jemand im Krankenhaus oder hier zuhause besucht, so dass ich nicht dauernd da sein musste. Ich war so erleichtert, auch wenn sich das jetzt schlimm anhört. Irgendwann konnte ich das Krankenzimmer und die Auswirkungen der Krankheit und der Chemo nicht mehr ertragen, ich war so erschöpft.
Eine meiner Workshop-Kundinnen lud mich zum Frühstück und einem Ausflug nach Venlo ein, ein halber Tag Auszeit, wie Urlaub, das werde ich nie vergessen.
Es kamen viele kleine Päckchen von einem unbekannten Absender, bis heute weiss ich nicht, von wem. Darin ein lieber Gruß, ein wenig Tee und süße Leckereien. Ein scheinbar fremder Mensch macht sich Gedanken und die Mühe, mir eine Freude zu machen, das tat so gut.
So viel Mitgefühl von allen Seiten, auch hier auf dem Blog gab es immer wieder so liebe Worte meiner Leser.
Ein Gutschein für ein Frühstück mit meinen Kindern in der Nachbarstadt. Ein Gutschein für 5 Autowäschen.
Selbstgebackene Weihnachtskekse, mein Mann hatte Heißhunger während der letzten Chemophase und meine Freundin hat jeden Tag für ihn gebacken, gefühlte Tonnen von Plätzchen.
Und noch etwas zum Thema Geld. Ich nahm bereits während der Krankheit meines Mannes einen Job als Tagesmutter bei Nachbarn an und arbeitete mittags in der Schulmensa. Letzteres, ohne dass ich viel Ahnung davon gehabt hätte. Die Leitung der Schulmensa wurde mir angeboten, weil ich seit vielen Jahren ehrenamtlich auf verschiedenen Ebenen tätig war und man mir das einfach zutraute. Ohne, dass ich gefragt hatte. Großartig fand ich das.
Man liest öfter, wie Menschen durch Krankheit unverschuldet in finanzielle Not geraten können. Jetzt könnte man denken: da sorgt man doch vor. Ne, eben nicht, wenn man vier Kinder hat und sich und den Kindern ab und zu auch mal was gönnen möchte. Eine der berührensten und großzügigsten Gesten damals war, dass Freunde für uns ein Sparbuch mit einem vierstelligen Betrag anlegten. Zur freien Verfügung. Sie sagten: uns geht es so gut, wir verdienen beide gut, Haus ist abbezahlt, wir möchten so gerne etwas für euch tun.
Auf dieses Sparbuch kamen nach dem Tod meines Mannes noch Spenden und ich konnte auch deshalb die finanziellen Belastungen der nächsten Zeit überstehen.
Das Gefühl, wenn man sich bei Ikea ein paar Duftkerzen leisten kann, oder sich nach langer Zeit einen Starbucks Latte als absoluten Luxus gönnt. Geld löst nicht alle Probleme, aber kann Probleme erträglicher machen.
Meine Freundinnen luden mich regelmäßig ins Kino ein, und vorher lecker Abendessen. Das hat so so gut getan! Und irgendwie hat sich durch diese Geste der Hilfe und Ablenkung eine Tradition entwickelt, die wir bis heute monatlich beibehalten. Mir wird beim Schreiben erst bewusst, wie und woraus sich das überhaupt entwickelt hat.
Die Liste könnte ich noch lange fortsetzen, aber ich glaube es wird schon deutlich, was ich meine.
Heute war wieder so ein Tag, wo ich das Schicksal verflucht habe, wo ich traurig und bedrückt war. Aber Tage wie dieser bringen mir auch wieder zu Bewusstsein, welches Glück wir trotz allem damals hatten, so unterstützt und aufgefangen zu werden von Familie und Freunden.
Was ich einfach nur sagen wollte: helfen können auch kleine Dinge, scheinbar banale Dinge. Mitgefühl kann viele Facetten haben.
Alles Liebe
Barbara